Ich will nicht sterben: Rabia und der Überlebensschrei ihrer Tochter im Schatten von Dublin
Rabia Aslan (26) floh vor systematischer Gewalt in die Schweiz. Doch auch hier fand sie keinen sicheren Zufluchtsort. Ihre sechsjährige Tochter A. zeichnet sich und ihre Mutter in jedem Bild hinter Gittern.
Drohende Zwangsheirat im Kindesalter
Rabias Geschichte begann, als sie erst 17 war. Ihre Familie wollte sie mit einem 40-jährigen Mann verheiraten. Um dem Druck zu entkommen, floh sie mit einem Mann, den sie erst seit 23 Tagen kannte. Doch auch diese Beziehung brachte keine Rettung. Während der gesamten Ehe war Rabia systematischer Gewalt ausgesetzt. „Selbst auf dem Weg zur Geburt wurde ich geschlagen“, erzählt sie.
Flucht nach Deutschland und Rückkehr-Falle
2023 wollte Rabia mit ihrem damaligen Ehemann nach Deutschland fliehen – mit dem Plan, sich dort scheiden zu lassen. Doch sie wurden in Ungarn aufgegriffen und ihre Fingerabdrücke wurden registriert. Der Ehemann kehrte aus Angst in die Türkei zurück. Rabia aber hielt durch und gelangte nach Deutschland. Sie beantragte Asyl, wurde von einem Camp ins nächste geschickt. Ihre Tochter A. war damals erst vier Jahre alt. Die Bedingungen waren hart, sie hielten kaum durch.
Dann versprach ihr die Familie: „Wir werden dich nicht zwingen, verheiratet zu bleiben. Komm zurück, du kannst frei leben.“ Rabia glaubte diesen Worten und kehrte in die Türkei zurück. Doch kein einziges Versprechen wurde gehalten. Der familiäre Druck setzte sich fort, die Ehe sollte weitergeführt werden. Erneut wurde Rabia Opfer von Gewalt. Schließlich konnte sie sich – auch wenn es sie Geld kostete – von ihm trennen.
„Dein Ende wird wie das jener Frau sein“
Doch selbst danach hörte die Gewalt nicht auf. Die Drohungen gingen weiter. In ihrer Straße wurde eine Frau von ihrem Mann erstochen. Rabias Ex sagte zu ihr: „Dein Ende wird wie ihres sein.“
Als Rabia keinen Ausweg mehr sah, nahm sie vor vier Monaten ihre Tasche und ihre Tochter und floh erneut. Erst nach Bosnien-Herzegowina, dann mit Hilfe eines Netzwerks über Kroatien in die Schweiz. Für Rabia war die Schweiz ein Land der Menschenrechte und Gerechtigkeit.
Erzwungene Fingerabdrücke, Nacktdurchsuchung, Gitterstäbe
In Kroatien wurden sie aufgegriffen. Mutter und Tochter mussten ihre Fingerabdrücke abgeben. Sie wurden inhaftiert und von der Polizei psychisch misshandelt. Rabia berichtet von einer Nacktdurchsuchung, die für sie eindeutig einen Übergriff darstellte. Ihr ganzer Körper wurde berührt. Auch A. verbrachte mehrere Tage hinter Gittern.
Nach der Freilassung gelang ihnen die Weiterreise über Italien in die Schweiz, wo sie Asyl beantragten.
Doch auch hier fand sie keinen Schutz
Aber Rabias Leidensweg war noch nicht vorbei. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) erklärte, Rabia unterliege dem Dublin-Verfahren. Da ihre Fingerabdrücke in Kroatien registriert wurden, sollte ihr Asylantrag dort geprüft werden. Rabia legte Einspruch ein – vergeblich. Auch ihr zweiter Antrag wurde abgelehnt.
Übergriffe im Camp und A.s stummer Schrei
„Die Mutter Rabia Aslan erklärte:
Während ihres Aufenthalts im Schweizer Asylzentrum wurde A. von einem männlichen Flüchtling sexuell belästigt. Noch heute schreit sie nachts im Schlaf. Auch Rabia berichtet von mehrfachen Übergriffen. Doch die Camp-Leitung tat nichts. „Das ist normal“, sagte man ihr. Die Polizei erklärte: „Du hast keinen Aufenthaltstitel, wir können nichts tun.“
Der Wendepunkt war die zweite Ablehnung ihres Asylantrags. Rabia brach in Tränen aus. Ihre Tochter verstand in diesem Moment alles und fragte:
„Mama, was ist, wenn sie dich töten, wenn wir zurückgehen?“
A. malt immer dasselbe Bild: eine Mutter und ein Kind hinter Gittern. Denn genau das haben sie in Kroatien erlebt. Jetzt fürchten sie, dorthin zurückgeschickt zu werden.
Rabia sagt abschließend:
„Ich will nicht sterben. Ich will nur leben. Mehr nicht. Ich will, dass meine Tochter ein Leben führen kann – frei, ohne Angst, ohne Gitter.“
Interview: Mehmet Murat YILDIRIM