Offener Brief
Was ist in Uznach passiert? Warum wurde dieser offene Brief verfasst?
Als PangeaKolektif haben wir am 10. Dezember 2025 vor dem Rathaus von Uznach, im Kanton St. Gallen (Schweiz), eine bewilligte Kundgebung abgehalten, um auf die Menschenrechtsverletzungen im Asylzentrum Linth aufmerksam zu machen.
Diese Kundgebung war keine spontane oder einmalige Reaktion.
Sie war der letzte Schritt, nachdem monatelange Dialogversuche gegen systematische und anhaltende Missstände ergebnislos geblieben waren.
Gemeinsam mit den im Lager lebenden Geflüchteten haben wir uns über Monate hinweg dialogorientiert gegen folgende Zustände eingesetzt:
- Zwangsarbeit innerhalb des Lagers
- Stundenlöhne von 1.50 Franken, die mit der Menschenwürde unvereinbar sind
- Unversicherte, unsichere und gefährliche Arbeitsbedingungen
- Die systematische Verhinderung von Bildung, beruflicher Entwicklung und gesellschaftlicher Teilhabe
In diesem Prozess:
- wurden zahlreiche E-Mails an die Lagerleitung und kantonale Migrationsbehörden gesendet,
- Sammelpetitionen eingereicht,
- Gesprächstermine angefragt,
- Probleme und konkrete Lösungsvorschläge sachlich und konstruktiv vorgebracht.
Die Antworten bestanden jedoch nicht aus Lösungen, sondern aus der Verteidigung bestehender Praktiken.
Die geäußerten Beschwerden wurden ignoriert, Lösungsvorschläge nicht ernst genommen.
Noch schwerwiegender:
Einige Geflüchtete, die ihre Rechte eingefordert und den Dialog gesucht hatten,
- wurden offen bedroht,
- durch Zwangsverlegungen in andere Lager „bestraft“,
- ein gesundheitlich angeschlagener Bewohner und sein Zimmernachbar wurden eines Morgens plötzlich aus dem Lager verwiesen – insbesondere in Lager mit deutlich härteren Bedingungen.
Damit war der Dialog faktisch beendet.
Dass Menschen allein wegen der Forderung nach ihren Rechten sanktioniert wurden, stellte für uns einen Wendepunkt dar.
Aus diesem Grund sahen wir uns gezwungen, die Situation öffentlich zu machen.
Unsere Kundgebung fand breite Resonanz.
Dabei wurden nicht nur die Zustände im Lager Uznach sichtbar, sondern auch grundlegende Fehlannahmen über Migration, Arbeit, Solidarität und Menschenwürde in der Gesellschaft.
Dieser offene Brief ist eine Antwort auf:
- eine E-Mail, die wir nach der Kundgebung erhalten haben,
- einen Leserbrief in der lokalen Presse,
- flüchtlingsfeindliche Kommentare in sozialen Medien.
Unser Ziel ist keine Polemik, sondern eine sachliche, ruhige und klare Einordnung.
Solidarität oder Diskriminierung?
Nach unserer Pressemitteilung in Uznach erhielt PangeaKolektif eine E-Mail. Der Verfasser der E-Mail bezeichnete unsere Aktion als „unsolidarisch“ und „diskriminierend“ und erklärte, er spreche insbesondere im Namen der Steuerzahler, Arbeitnehmer und Menschen, die in finanziellen Schwierigkeiten leben. Außerdem kündigte er an, sich politisch gegen Ausgaben für Flüchtlinge einzusetzen.
Wir veröffentlichen diesen Text nicht, um einer einzelnen Person zu antworten, sondern um die weit verbreitete Denkweise, die dieser Ansatz repräsentiert, sichtbar zu machen und eine ruhige, offene, aber klare Antwort darauf zu geben.
Was sagt diese Haltung aus?
In der genannten E-Mail wird behauptet, Geflüchtete würden:
- „ohne zu arbeiten leben“,
- „privilegiert sein“,
- „eine Last für Steuerzahler darstellen“,
- „Solidarität in Anspruch nehmen, ohne etwas beizutragen“.
Dieser Ansatz verwendet zwar auf den ersten Blick die Begriffe „Gerechtigkeit“ und „Solidarität“, behandelt das Thema jedoch ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Erwerbstätigkeit.
Unter welchen Bedingungen, mit welchen Rechten und unter welchen Risiken die Arbeit verrichtet wird, bleibt dabei völlig außer Acht.
Sie:
- macht Geflüchtete zu Sündenböcken,
- ignoriert Ausbeutungsmechanismen,
- blendet strukturelle Ungleichheiten und politische Entscheidungen aus.
Das Problem sind nicht Geflüchtete – das Problem ist das System
Was in den Flüchtlingslagern geschieht, ist keine Frage der „Arbeitsverweigerung“.
Unser Einwand richtet sich gegen:
- die Arbeit ohne Vertrag,
- ohne Versicherung,
- ohne Arbeitsplatzsicherheit,
- die faktisch Zwangsarbeit ist,
- mit Löhnen von 1,5 Franken pro Stunde unter sklavenähnlichen Bedingungen.
Konkrete Beispiele:
- Geflüchtete arbeiten ohne Ausbildung in Großküchen für 150–160 Personen.
- Es kam zu Verbrennungen durch kochendes Wasser.
- Mangels Unfallversicherung wurden Verletzte teils nicht ins Krankenhaus gebracht, sondern lediglich mit Salben versorgt.
- In Werkstätten mit schweren Maschinen besteht keinerlei Absicherung bei dauerhaften Verletzungen.
Das ist weder Integration noch Solidarität.
Dieses System:
- zerstört Fähigkeiten und berufliche Perspektiven,
- isoliert Menschen in Lagerstrukturen,
- erzeugt langfristige Abhängigkeit,
- senkt die Arbeitsstandards für alle.
Von dieser Situation sind nicht nur Flüchtlinge betroffen, sondern alle, die von ihrer Arbeit leben. Wir sind der Meinung, dass die Verbreitung billiger Arbeitskräfte nicht nur Migranten schadet, sondern allen Arbeitnehmern. Denn diese Situation drückt das allgemeine Lohnniveau und schürt Konflikte zwischen den Arbeitnehmern. Wir setzen uns für gleiche, faire und menschenwürdige Arbeitsbedingungen für alle ein, unabhängig von ihrer Nationalität oder Herkunft.
„Wir arbeiten auch“ löst das Problem nicht
Eine häufig gehörte Aussage lautet:
„Wir arbeiten auch, wir zahlen Steuern, also sollen sie auch arbeiten.“
Der grundlegende Widerspruch hierbei ist folgender:
Wir wollen bereits arbeiten.
Allerdings:
- Personen mit Flüchtlingsstatus dürfen nicht außerhalb des Lagers auf Vertragsbasis arbeiten.
- Praktika und berufliche Ausbildungsmöglichkeiten werden systematisch verhindert.
- Schriftliche Anträge an die Lagerverwaltung zu diesen Themen bleiben unbeantwortet oder werden mündlich abgelehnt.
- Es werden keine Möglichkeiten geschaffen, die das Erlernen der Sprache und den Aufbau sozialer Kontakte ermöglichen würden.
- Anschließend wird die durch diese Hindernisse entstandene Situation als Grund für den Vorwurf „sie arbeiten nicht” herangezogen.
Dies ist ein offensichtlicher Widerspruch.
Wir möchten sogar auf die Verzerrung in der Verwaltung des Lagers und im Leserbrief hinweisen, in dem es heißt: „Was ist daran so schlimm, wenn sie ihren eigenen Wohnbereich reinigen?“ Die Flüchtlinge reinigen und ordnen ihre Schlafsäle und privaten Bereiche ohnehin aus persönlicher Verantwortung, ohne dass sie dazu aufgefordert werden müssen. Das ist nicht das, was wir mit „Arbeit“ meinen. Die Lagerleitung versucht, die Wahrheit zu verdrehen, und verwendet dabei hilflos solche Ausdrücke. Wir sind gegen unversicherte, unsichere, vertragsfreie und Zwangsarbeit in Bereichen, die eine Berufsausbildung und Arbeitssicherheit erfordern, wie z. B. in Großküchen, Tischlereien, bei der Reinigung von Büros und Toiletten des Personals sowie bei anderen Arbeiten im Freien.
Ausbeutung unter dem Deckmantel der Solidarität
Die von den Flüchtlingen im Lager handgefertigten Produkte werden unter dem Motto „Solidarität mit den Flüchtlingen“ auf den Märkten der Region verkauft.
Die lokale Bevölkerung kauft diese Produkte in guter Absicht, während:
- ist der Ansicht, dass die Einnahmen einen Beitrag für die Flüchtlinge leisten.
In Wirklichkeit jedoch:
- Flüchtlinge erhalten im Produktionsprozess einen Stundenlohn von 1,5 Franken,
- die Produkte werden zum Marktwert verkauft,
- und die erzielten Einnahmen verbleiben beim Lagerbetreiber.
Diese Situation führt zu einer doppelten Ausbeutung:
- Die Arbeitskraft der Flüchtlinge wird ausgebeutet.
- Die Solidarität und das Wohlwollen der lokalen Bevölkerung werden missbraucht.
Wir widersprechen dem.
„Unsere Steuern“ – eine gefährliche Verkürzung
Es sind nicht nur Schweizer Staatsbürger, die in diesem Land zur Produktion und Dienstleistung beitragen.
Ein sehr großer Teil der erwerbstätigen Bevölkerung in der Schweiz besteht aus Migranten.
- Die schwersten,
- unsichersten und
- am schlechtesten bezahlten
Jobs werden meist von Migranten ausgeübt.
Auch sie:
- zahlen Steuern,
- zahlen Versicherungsbeiträge,
- tragen die Last dieser Gesellschaft mit.
Migranten als „Last“ oder „Parasiten“ darzustellen, entspricht nicht nur nicht der Wahrheit, sondern ist auch eine gefährliche Verallgemeinerung, die den sozialen Frieden gefährdet.
Die Verbreitung billiger Arbeitskräfte schadet nicht nur Migranten, sondern allen Arbeitnehmern.
Wir setzen uns für gleiche, faire und menschenwürdige Arbeitsbedingungen für alle ein.
„Dann geht doch zurück“ – warum diese Haltung gefährlich ist
Nach unserer Kundgebung hörten wir auch Sätze wie:
- „Seid dankbar, dass ihr hier seid“
- „Wenn es euch nicht passt, geht zurück“
Wir kennen diese Sprache sehr gut: „Entweder du liebst es oder du verlässt es“.
Viele von uns sind in ihren eigenen Ländern mit diesen Worten konfrontiert worden, gerade weil wir für unsere Rechte eingetreten sind.
Solche Aussagen:
- fördern keinen Zusammenhalt,
- verstärken Ausgrenzung,
- nähren Rassismus.
Wir legen Wert darauf, uns gegen solche Äußerungen zu stellen und nicht Gegensätze, sondern das Zusammenleben zu verteidigen.
Kinder, Bildung und gemeinsame Zukunft
Dass Kinder, die in Lagern leben, nicht zur Schule geschickt werden, ist nicht nur ein Problem für die Flüchtlingsfamilien, sondern betrifft die Zukunft der gesamten Gesellschaft.
- Jedes Kind, das vom Bildungswesen ausgeschlossen wird,
- läuft Gefahr, später als Erwachsener von der Gesellschaft ausgegrenzt zu werden.
Bildung ist kein Privileg, sondern ein Recht.
Und dieses Recht kommt uns allen zugute.
Fazit: Wir stehen uns nicht gegenüber
Unser Kampf:
- nicht gegen Arbeitnehmer,
- nicht gegen Steuerzahler,
- nicht gegen den produktiven, armen Teil der Gesellschaft.
Unser Einwand richtet sich gegen:
- Ausbeutung,
- Zwangsarbeit,
- Politiken, die die Menschenwürde zum Verhandlungsobjekt machen.
Wir sind offen für den Dialog.
Wir sind offen für das Erzählen, Zuhören und Sprechen.
Aber wir sagen ganz klar:
Die Menschenwürde und die Grundrechte sind nicht verhandelbar.
PangeaKolektif