Diskriminierung durch einen Arzt in der Schweiz — Wir Erinnern: Das Recht auf Gesundheit ist Kein Almosen
Von: Ayçe İdil *
Jeden Tag aufs Neue: Leben mit Offener und Versteckter Diskriminierung
Wenn man in der Schweiz ohne Papiere lebt, als Asylsuchender (mit N-Ausweis) oder sogar mit Aufenthaltsrecht — kurz gesagt, wenn man Geflüchteter ist — wird man oft so behandelt, als wäre man „nichts“.
In einem Land zu leben, in dem selbst das bloße Dasein einer Genehmigung bedarf, in dem die grundlegendsten Rechte wie eine „Gnade“ erscheinen...
Wir alle sind aus unterschiedlichen Gründen hierhergekommen: wegen Kriegen, die durch kapitalistische Krisen ausgelöst wurden, wegen Unterdrückung, patriarchaler Gewalt und autoritärer Regime, die von imperialistischen Mächten unterstützt werden.
Wir haben unsere Häuser, unsere Liebsten und unsere Vergangenheit zurückgelassen.
Und hier kämpfen wir jeden Tag aufs Neue darum, einfach nur existieren zu dürfen.
Wir kämpfen sowohl mit den inneren Konflikten zwischen Zugehörigkeit und Fremdheit als auch mit der sichtbaren und unsichtbaren Diskriminierung von außen.
Um hier zu überleben, brauchen wir – wie jeder Mensch – Unterkunft, Nahrung, Schlaf und Gesundheit.
Doch diese elementarsten Menschenrechte werden uns oft als „Gefallen“, „Toleranz“ oder „Güte“ präsentiert.
Von uns wird Dankbarkeit erwartet.
Als wäre das Leben selbst ein Privileg.
Vor einigen Wochen habe ich im italienischsprachigen Kanton Tessin etwas erlebt, das mir diese Realität mit aller Deutlichkeit vor Augen führte.
Meine Mutter ist 50 Jahre alt und hat verschiedene gesundheitliche Probleme.
Sie braucht regelmäßige Kontrolluntersuchungen, also schrieb ich unserem Hausarzt eine E-Mail, um einen Termin in der Orthopädie zu vereinbaren.
Die Antwort war kurz, aber schwerwiegend:
„Praxen sind kein Selbstbedienungsladen.
Untersuchungen, Therapien und Medikamente sind teuer und werden von den Steuern der Schweizer Bürger bezahlt.“
In diesem Moment erstarrte ich innerlich.
Die Aufgabe eines Arztes sollte es sein, die Gesundheit seiner Patient*innen zu schützen.
Doch diese Antwort stellte offen das Recht von Geflüchteten auf medizinische Versorgung in Frage.
In diesen Worten lag nicht nur Geringschätzung, sondern auch eine Haltung, die sagte:
„Du bist hier nur zu Gast – kenn deinen Platz.“
Diese Worte sind kein bloßes Vorurteil einer Einzelperson, sondern Ausdruck der strukturellen Diskriminierung, der Geflüchtete in Europa ausgesetzt sind.
Gesundheit ist ein Recht, Kein Geschenk
Niemand geht ohne Grund zum Arzt.
Jeder Mensch, der ein Krankenhaus aufsucht, tut dies, weil er Hilfe braucht.
Und für Geflüchtete, die Trauer, Stress und Angst in sich tragen, ist diese Hilfe noch dringender notwendig.
Unsere Lebensbedingungen und unser seelischer Zustand führen unweigerlich zu Krankheiten.
Viele Migrant*innen aus der Türkei, die ich hier getroffen habe, sagen mir immer wieder, dass sie „ständig krank werden und nicht gesund werden können“.
Das ist verständlich, denn wir sind psychisch erschöpft – und das wirkt sich auf unsere Gesundheit aus.
Doch anstatt dies zu berücksichtigen, fügen diskriminierende Haltungen unseren Traumata nur weitere Wunden hinzu.
Jeder Mensch, unabhängig von Herkunft, Identität oder Status, hat das gleiche Recht auf Gesundheit.
Aber als Geflüchtete werden wir behandelt, als würden wir dieses Recht „überbeanspruchen“, als müssten wir dafür dankbar sein.
Wir wurden durch Zwang aus unseren Ländern gerissen und sind geflohen, um zu überleben.
Als wir hier ankamen, hatten wir nichts – kein Geld, kein Zuhause, keine Sicherheit.
Und trotzdem sind wir hier, um Menschen zu bleiben, um ein neues Leben aufzubauen.
Jetzt wird uns gesagt, dass wir „von den Steuern der Schweizer Bürger“ leben.
Als würde sogar unsere Atemluft von diesen Steuern abgezogen.
Das ist keine bloße Information, sondern eine Form der Ausgrenzung – ein rassistisches Narrativ.
Solche Aussagen stellen unser Recht auf medizinische Versorgung in Frage und legitimieren, dass man uns nicht als Menschen behandelt.
Doch dieses Problem ist kein individuelles, sondern ein systematisches:
Es ist Teil eines Systems, das Geflüchtete dazu zwingt, still, dankbar und schuldbewusst zu bleiben.
Und wir wissen das.
Solche Worte verletzen nicht nur unseren Körper, sondern auch unsere Seele.
Wir, die wir bereits mit Traumata in dieses Land kamen, werden erneut entwertet, beschämt und zum Schweigen gebracht.
Viele Geflüchtete wagen es nicht, ihre Stimme zu erheben.
Einige schämen sich, andere haben Angst, und manche denken: „Vielleicht haben sie recht.“
Aber je größer dieses Schweigen wird, desto stärker wächst die Diskriminierung.
Schweigen heißt, ihr Macht zu geben.
Gemeinsam in Solidarität
Ich werde nicht schweigen.
Und ich bin nicht allein.
Genau deshalb bin ich Teil eines Kollektivs, einer organisierten Solidarität.
Denn gegen Rassismus und Diskriminierung können wir nur gemeinsam als Geflüchtete kämpfen.
Wir von PangeaKolektif werden uns weiterhin gegen jede Form von Rassismus und Diskriminierung stellen, unsere Rechte verteidigen und unsere Stimmen verstärken.
Denn wir wissen: Ein Unrecht, das einer Person widerfährt, betrifft uns alle.
Das Recht auf Gesundheit ist Teil des Rechts auf Leben.
Es ist weder das Geschenk eines Staates noch die Gnade eines Arztes.
Es ist ein Menschenrecht.
Und wir werden niemandem erlauben, uns unsere Würde zu nehmen.
Wir sind hier.
Wir existieren.
Wir kämpfen gemeinsam.
Denn unsere Stimme zu erheben, solidarisch zu handeln und unsere Rechte einzufordern — das ist der einzige Weg, menschlich zu leben.
*Ayçe İdil – Mitglied von PangeaKolektif, Geflüchtete, lebt seit zwei Jahren im Kanton Tessin mit N-Ausweis.